Visuelle Halbzeitbilanz der virtuellen Hauptversammlungen
Martin Kerscher, 06.06.2020
Corona hat in diesem Jahr ein Feuerwerk der Premieren virtueller Hauptversammlungen gezündet - mit viel Licht und Schatten bei der Performance der Redner und der Regie durch die Unternehmenskommunikation. Die meisten Vorstände und Aufsichtsräte haben es so gemacht wie auf den Präsenz-Veranstaltungen der Vorjahre: Zum Rednerpult gehen, Rede halten, fertig. Aber in diesem Jahr fehlte eben das Gegenüber in Form des Publikums bzw. der Aktionärsvertreter. Und damit gut umzugehen, das haben die Redner sehr unterschiedlich gut gemeistert.
Zweiter wichtiger Unterschied zu den Präsenzveranstaltungen: Der HV-Bildregie kommt eine ungleich größere Bedeutung zu und deswegen fällt sie dieses Jahr beim Gesamteindruck auch viel deutlicher ins Gewicht.
Vorweg, das ist wichtig zu erwähnen: Hauptversammlungen sind mit so vielen juristischen Fallstricken versehen, dass sie als Forum nicht unbedingt ideal sind, als Aufsichtsrat oder Vorstand seine medialen Qualitäten unter Beweis zu stellen. Aber trotzdem: man kann was draus machen.
Der Leverkusener Konzern machte den Auftakt in dieser HV-Saison. Die Kameras fingen die Totale sehr gut ein, in der Vorstände und Aufsichtsräte im gebotenen Abstand an jeweils eigenen Pulten saßen. Eine weitere Kamera hatte den Redner bzw. seine Kollegen auf dem Plenum im Fokus. Vorstandschef Werner Baumann und Aufsichtsratschef Werner Wenning waren gewohnt routiniert. Dabei kam ihnen sicher zugute, dass die kontroverse Diskussion beim Thema Glyphosat auf einer virtuellen Hauptversammlung nicht adäquat abgebildet werden kann.
Bemerkenswert und ein absoluter Einzelfall: Ddie komplette virtuelle Hauptversammlung ist noch heute im Netz zu sehen, inklusive Beantwortung der Aktionärsfragen und der Abstimmungsergebnisse, leider allerdings - wie auch bei anderen Dax-Konzernen - in einer sehr schlechten Bildqualität.
Licht, Bildregie und Ton bei der Hauptversammlung hatten die Qualität, die Reisende von der Lufthansa AG gewohnt sind - jedenfalls, was das Podium mit Vorstand und Aufsichtsrat anging. Sehr angenehm auch, dass sich Nutzer mit einem Pull-Down-Menü durch die einzelnen Aspekte und Themen der HV klicken können. Leider wird dies nur bei der Rede und Präsentation von Vorstandschef Carsten Spohr konsequent angeboten.
Interessant wird es bei dieser virtuellen HV, als sich vier neue Aufsichtsratsmitglieder kurz vorstellen sollen: Ex-IBM-Manager Erich Clementi steht dabei im Halbdunkel eines - wie es scheint halligen - Kellerraumes. Sein monotoner Vortrag wirkt sehr abgelesen. Und auch wenn er sehr freundlich wirkt, sein Gesamtauftritt ist seiner Position wahrlich nicht angemessen. Der Einspieler von Ex-Airbus-Chef Tom Enders ist technisch einwandfrei produziert - als einziger aller vier Kandidaten hat er ein Ansteck-Mikro und ist gut ausgeleuchtet. Warum er aber in aller Ausführlichkeit seine allgemein bekannte berufliche Vita referieren muss, das weiß nur er selbst. Als Anteilseigner wäre es beispielsweise viel interessanter gewesen zu erfahren, was Lufthansa konkret davon hat, dass Enders nun im Aufsichtsrat sitzt - außer, dass es ihm „eine Ehre“ ist.
Aber Enders kann vor der Kamera wenigstens reden, Ex-BMW-Chef Harald Krüger kann das nicht. Wenn er von „Freude“ und „Leidenschaft“ spricht, dann können sich diese Emotionen dem geneigten Betrachter nicht erschließen: Krüger liest sein Manuskript vor und wirkt sehr hölzern. By the way, ein Hinweis an die Regie: Wenn Harald Krüger seinen Namen nicht nennt und er nicht mit einer Grafik eingeblendet wird, dann sind Zuschauer sehr intensiv mit der Frage beschäftigt „wer ist das überhaupt?“. Die Kurzvorstellung von AXA-Vorständin Astrid Stange schließlich ist sicherlich am sympathischsten und lebendigsten in dieser Reihe. Aber Ihr Video hat definitiv jemand aufgezeichnet, der weder von Schärfe noch von Ton und Licht einen Schimmer hat. Das ist ausgesprochen schade, weil durch die Form auch der Inhalt leidet - und der Gesamteindruck von ihr natürlich auch.
Schade, dass die Allianz SE ihre virtuelle Hauptversammlung nur mit einer Kamera-Einstellung gestaltet hat: Zu sehen war Aufsichtsratschef Diekmann nur von vorne in der Halbtotale - ebenso Renate Wagner und Klaus Peter Röhler, die in den Vorstand gewählt wurden. Unklar ist, warum die beiden Vorstandskandidaten nahezu lückenlos, wie es scheint, ihre berufliche Vita referierten. Stattdessen wäre es interessant gewesen zu erfahren, welche Akzente sie in ihrem Amt setzen wollen und worauf sie sich dabei fokussieren wollen. Wobei bei diesen beiden Vorstellungen eines deutlich wird: Man kann, wie Allianz-Deutschland-Chef Röhler, sogar seine Vita lebendig vortragen. Renate Wagner hat da wahrlich noch viel Luft nach oben. Auch hier die Bitte an die Regie: Die Redner haben einen Vornamen verdient, wenn ihr Name eingeblendet wird.
Die Aufzeichnung der virtuellen Hauptversammlung der BMW AG muss man etwas zwischen den PDF-Dokumenten auf der Webseite suchen, dabei ist sie ein Musterbeispiel dafür, wie sich ein solches Event inszenieren lässt - vielleicht lag der Grund auch darin, weil es die 100. ordentliche Hauptversammlung des Autobauers war: Die HV beginnt mit einem stimmungsvollen Imagefilm, dann fahren historische und aktuelle BMWs, Motorräder und Minis langsam vor der Rednertribüne entlang, in dessen Mitte bereits Aufsichtsratschef Reithofer stehend auf seinen Einsatz wartet. Es hatte etwas Majestätisches, als die Musik des Imagefilmes verlängert wird, auf das Bild Reithofers übergeht, der Kamera-Kran einen großen Schwenk macht und nach dem letzten Musik-Ton der Aufsichtsratschef die Hauptversammlung eröffnet. Großes Kino.
Nach 40 Minuten Reithofer ein weiterer Film unter der Überschrift „Herausforderungen meistern wir“. Der Film spannt einen erzählerischen Bogen von Corona über Merkel, Steinmeier, Brandt, Ölkrise, Finanzkrise und natürlich der Entwicklung von BMW bis hin zur Rede von Oliver Zipse. Alle Achtung - was den Film angeht. Zipse nimmt den Schwung wieder heraus. Es ist zu spüren, dass er die Rede trainiert hat - trotzdem wird sie eher pastoral vorgetragen und wirkt in den Gesten sehr bemüht. Also, Herr Zipse: da geht noch was.
Christian Sewing kann nun wirklich sehr gut reden. Er ist beweglich in der Stimme, setzt gekonnt Betonungen, macht Pausen, da wo sie sinnvoll sind und hat manchmal sogar ein Lächeln übrig. So lässt sich einer Rede gut folgen. Im Falle von Christian Sewing ist es sicher eine Frage des Talentes, aber auch des konsequenten Trainings. Dass sein Vortrag durch verschiedene Kameraeinstellungen aufgelockert wird, tut ein Übriges. 150 Jahre Deutsche Bank wären es jedoch auch wert, den Mitschnitt im Netz in hochauflösender Qualität anzubieten.
Viel Licht und Schatten auch bei der SAP AG: Das Bühnenbild des Redner-Podiums ließ keine Wünsche offen. An der Rückwand wurde nicht gespart. Die Qualität des Gesamteindrucks passt zur Qualität der Marke. Das aber gilt nicht für die Reden von Aufsichtsratschef Hasso Plattner, der aus Kalifornien zugeschaltet war, und von Vorstandschef Christian Klein.
Plattner muss im Hobby-Keller gesessen haben - so sieht es aus. Im Hintergrund steht eine Gitarre, einige Fotos, die erahnen lassen, dass sie auf einer Yacht aufgenommen wurden, ein großer HP-Drucker und ein „übriggebliebener“ Computer-Bildschirm. Er redet nicht zu den Aktionären, er liest ab. Deswegen sieht man auch selten in seine Augen, er ist oft unscharf, hat viel zu viel „Luft über dem Kopf“ - und seine schlechte Laune angesichts der Diskussion über den Rausschmiss von Jennifer Morgan ist ihm förmlich anzuhören und anzusehen.
Demgegenüber wirkt Christian Klein fast wie eine baden-württembergische Gute-Laune-Rakete. Dem Vorstandschef kann man allerdings nur empfehlen, lieber auf Gesten ganz zu verzichten als aus dem Trainings-Baukasten Armbewegungen zu übernehmen, die so gar nicht zu ihm passen wollen.
Insgesamt ist zur Halbzeit der „Saison virtueller Hauptversammlungen“ bemerkenswert, dass die Corona-Pandemie in atemberaubender Geschwindigkeit digitale Formate geschaffen hat (der Gesetzgeber hat das natürlich ermöglicht). Und bemerkenswert ist auch, dass dies von Vorständen und Aufsichtsräten unterschiedlich gut genutzt wird.
Die Premieren können sich allesamt sehen lassen, auch wenn die meisten von ihnen noch viel Potenzial haben, das sich in der HV-Saison 2021 nutzen lässt.
Vorstände, Aufsichtsräte, Kommunikatoren und Produzenten haben mit den Veranstaltungen dieses Jahres, die zugegebenermaßen in Rekord-Zeit gestemmt werden mussten, gut vorgelegt. Aber für die HV-Saison 2021 gilt: da ist noch viel Luft nach oben.
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